DIE ÄRA DER TECHNOKRATEN

GEHT IHREM ENDE ENTGEGEN

Standpunkt:

WFEO-Vizepräsident Jean Michel über den Umgang mit Informationen

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Jean MICHEL

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Article paru dans "VDI nachrichten", 26. 5. 2000 (p. 2)

Das Problem der globalen Wissensgesellschaft: Unternehmen - und lelder auch Ingenieure - begreifen die Komplexität einiger Prozesse nicht, so der Franzose Jean Michel, Experte für Informationsmanagement, im folgenden Beitrag.

Jean Michel ist seit 1999 Vizepräsident der WorLd Federation of Engineering Organizations (WFEO). Zuvor leitete er zehn Jahre lang die Kommission „lnformation und Kommunikation" des Weltverbandes. Der Diplom-lngenleur für Bauwesen arbeitet als Berater für Informations- und Dokumentationsmanagement, unter anderem für die Ecole Nationale des Ponts et Chaussses (ENPC) In Paris. - 

Jean Michel: „Oft entwickelt sich eine Diskrepanz zwischen den angebotenen Dienstleistungen und den tatsächlichen Bedürfnissen, ohne dass dies in der Unternehmensführung jemand merkt.''

Bislang wird Information meist nur konsumiert wie die Lubt zum Atmen, ohne dass wirlklich in strukturierte Zugriffsmöglichkeiten investiert wird.

Der kritische Blick des Menschen ist für ein Unternehmen und dessen dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit aber wichtiger als das blinde Vertrauen in die Technologie, die die Information schon verwalten möge.

So bittet man beispielsweise hierfür nicht ausgebildete Sekretärinnen darum, wichtige Dokumentationen zu archivieren. Man lässt zu, dass sich Dateien und Datenbanken anarchisch vermehren, ohne die Qualität dieser Werkzeuge und die Kohärenz des gesamten Infolmationssystems zu überprüfen. 

Will man auf das Archiv zurückgreifen, stellt sich plôtzlich heraus, dass dieses nicht zu gebrauchen ist. 

Ingenieure und leitende Angestellte gehen in Pension, ohne dass sich ihre Mitarbeiter und Vorgesetzten bemüht haben, die Erfahrung aus einem langen Berufsleben zu dokumentieren und zu erhalten.

Schliesslich zeigt der fur einige scheinbar unerwartet plötzliche Einbruch des Internet in die Unternehmen heute auf dramatische Welse, wie amateurhaft manches Management versucht, die ausufernden Informationsprozesse mehr schlecht als recht in die Hand zu bekommen.

Die täglich anfallende Informationsflut aufzunehmen, zu verarbeiten und in marktrelevante Entscheidungen umzusetzen - diese Aufgabe rückt mehr und mehr in das Zentrum unternehmerischen Handelns. Die Investitionen in ein modernes Management von Information und Wissen werden deshalb künftig zu den wichtigsten strategischen Grundlagen der Wertschöpfung und einer dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit.

Doch im Gegensatz zu den klassischen Gütern lässt sich Information nicht greifen und nicht ohne weiteres verwerten. Die explosionsartige Ausweitung des Internet, die digitalen Technologien und der rasante Fortschritt im Bereich Multimedia drohen die ersten Ansätze eines innerbetrieblichen Wissensmanagements schlichtweg zu überrollen.

Damit der Austausch von Information möglich wird, muss sie auf einem Träger festgehalten werden, etwa auf einem Blatt Papier, einem Film oder der Festplatte eines Computers.

Während es recht schwierig ist, den Wert der Information als wahrnehmenden Blick zu schätzen (Was kostet eine Vision?), fällt es leichter, die Kosten der Informationstechnik zu bestimmen.

Für das betriebliche Informationsmanagement reicht diese Sichtweise aber nichtaus. Wertanalyse-Studien zum Informationsmanagement zeigen die wesentlichen Schwierigkeiten beim Umgang mit Informationen auf.

Ein Problem besteht darin, dass Unternehmen und häufig leider auch die Ingenieure - die Komplexität der Informationsprozesse nicht begreifen. Sie neigen dazu, die Verwaltung von Information der Verwaltung materieller Güter wie Rohstoffen, Halbzeugen oder fertigen Produkten gleichzusetzen, etwa in Form von Bits, die man speichert oder sendet. Die Information ist aber vor allem immateriell und subjektiv geprägt. Sie regt dazu an, ausgowertet zu werden.

Ein weiteres Problem ist der blinde Glaube vieler Manager an technische Wunderlösungen, etwa an Computersysteme, die versprechen, alle möglichen Daten zu verwalten und eine universelle Kommunikation zu gewährleisten.

Wie viele Unternehmen denken über neue Kommunikationstechnik nach, ohne zuvor ihre Bedürfnisse wirklich analysiert zu haben? Wie viele investieren Unsummen in schwerfällige Dokumentenverwaltungssysteme oder Groupware-Lösungen, nur um später festzustellen, dass sie lediglich ein Zehntel des technischen Potenzials der eingekauften Systeme tatsächlich nutzen?

Dem in der Auswahl der Verwaltungssysteme schlecht ausgebildeten Personal fällt es schwer, die in diesen Systemen gespeicherten Inibrmationen zu orten und zu nutzen. Mitarbeiter klagen häufig über eine „Überdosis Information" und lehnen die elektronischen Werkzeuge schlichtweg ab.

Oft entwickelt sich die Diskrepanz zwischen den angebotenen Dienstleistungen und den tatsächlichen Bedürfnissen schleichend, ohne dass es (in der Unternehmensführung) jemand wirklich merkt.

Ein intelligentes und wirksames Informationsmanagement setzt voraus, dass die Informationsbedürfnisse allerZielgruppen, Mitarbeiter wie (potenzielle) Kunden, erfasst und angebotene Produkte und Dienstleistungen klar definielt sind. Zudem muss sich die Unternehmensleitung uber die Rangordnung der verschiedenen Bedürf nisse im Klaren sein.

Geht es um unterstützende Datenbanken und die Verwaltung alltäglicher Dokumente oder um informationelle Wachsamkeit und die Beobachtung der Konkurrenz beispielsweise durch gezieltes Surfen im Internet? 

Steht der Schutz des eigenen Archivs im Vordergrund oder die flüssige Kommunikation uber Nachrichtendienste beziehungsweise elektronische Foren? 

Die auf Wertschöpfung beruhenden Ansätze des Informationsmanagements sollen unnötige Kosten vermeiden. Um des Perfektionismus willen verwenden Informatiker, Dokumentaristen und Webmaster oft ihre ganze Energie auf übertenerte Lösungen zu Lasten der Befriedigung des tatsächlichen Informationsbedarfs.

So kann die Eingabe in eine Datenbank 30 % bis 40 % derBetriebskosteneiner Dokumentationsabteilung ausmachen. Neue Netztechnologien wie das Internet lassen hingegen die Kosten für die Informationsgewinnung und ihre Überträgung schrumpfen.

Aufgrund des zutiefst subjektiven Charakters der Information ist es unerlässlich, das Informationsmanagement dem strikten Monopol der Fachleute fur elektronische Medien und den Spezialisten einzelner Berufssparten zu entziehen.

Gelungene und regelmässig gepflegte Internetseiten zeugen von der Notwendigkeit und der Bedeutung eines auf Austausch und Absprache aller beteiligten Gruppen (Mitarbeiter, Kunden, interessierte Öffentlichkeit) beruhenden Ansatzes fü allseits akzeptierte, nützliche und wirksame Informations- und Dokumentationssysteme.

Der Wandel zur Informationsgesellschaft beschränkt sich nicht allein auf die Auswahl technischer Werkzeuge - ganz gleich, wie ausgereift diese sein mögen. Informationsmanagement ist zuerst und vor allem eine intelligente Art, Wissen und Kompetenzen wirksam zu mobilisieren und so Fortschritte zu erzielen.

Während die letzten 30 Jahre uns glauben liessen, dass die Maschinen das Problem der Information fur immer lösen wurden, entdecken wir heute wieder, dass sehr wohl das Individuum als aktiver Spieler der Informationsgesellschaft im Zentrum des modernen Informations- und Wissensmanagements steht.

JEAN MICHEL

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